Text Auszug Cosima Wagner

Personen

Alte Cosima      93 Jahre                                                        Alt

Cosima               32 Jahre                                                        Mezzosopran

Junge Cosima  18 Jahre                                                        Sopran

Eva                     ihre Enkelin                                                   Alt

Herr Wolf                                                                                Tenor

Ort der Handlung

Saal in der Villa Wahnfried. 

Zeit der Handlung

Ein Nachmittag im Jahre 1930

Alte Cosima allein  auf einer Chaiselongue.

Alte Cosima:

Was wollen all die vielen Menschen hier!

Ich habe satt, euch zu begrüßen.

Man lasse mich allein.

Der Mensch ist einsam, wenn er stirbt.

sie hebt ihre Hand

Cosima, sieh diese Hand.

Das bist du, das ist dein.

Zerfurcht, zerspalten, zerrissen, zermartert.

Ein Leben, dein Leben

Kannst du es lesen?

Nicht die Zukunft, was kümmert mich Kommendes!

Vergangenheit will ich lesen,

Tausend Linien, Falten

Ein Labyrinth auf meiner Haut

Ein Labyrinth – wer sagte das einst?

Wege, Irrwege …

Das Weib beginnt das Leben als Ariadne

wird zum Minotauros

und ist am Ende

vielleicht

das Labyrinth selbst.

Anders der Held:

Er verwandelt sich nicht.

Er folgt einem geraden Weg

als Begriff von sich selbst.

Keine Ahnung von der Welt.

er kennt nur:

Gut und Böse …

Wo bin ich?

Ich laufe die Falten

meines alten

Körpers auf und ab

auf der Suche nach einer Berührung.

Durchs Labyrinth

auf dem Weg zu mir selbst.

Ich will

sterben.

Ich kann nicht.

Ich muss es versuchen,  kämpfen

Man muss einen weiten

Anlauf nehmen,

um vom Tod aufgefangen zu werden;

man muss sich werfen

Man fliegt in den Tod.

FLIEGEN! Seit je der Begriff

vom Glück.

Also, Cosima, noch einmal

ein letztes Mal

rein in dein Leben

ins Labyrinth

aber wie?

Egal jetzt.

Am Anfang

ist immer

eine Frage.

Während dem Folgenden treten Junge Cosima und Cosima aus den Wänden.

Was soll ICH hier? – Ich soll laufen – kann nicht – zu – viel Licht – Ruhe – hin wo – lauter Atem – graut mir – du hier? – seh dich – nicht – hinter mir – nicht so dicht – ich will fort – Eingang dort – wie kam er – plötzlich her – hinein fort – von dir – dort – Schatten – Ratten stören nicht – kein Wasser aber Kühle – draußen Schwüle – hinein – egal worein – Heil – keine Eil – wo lang – immer länger – hier – jetzt enger – dunkel kühl – bald kalt – nicht – zu enge – zurück – schon wieder – Zwänge – wo lang? – so bang – hilfe! – ich find – nicht – Ausgang – endlich Rausgang – nein falsch – immer tiefer – Wände schiefer – Hölle was – ist das?! – ich find – kein zurück – immer vorwärts – kein Glück – nie wieder Licht – ich find – mich – nicht zurecht – hilfe! – bitte – sei ein Traum – ich find kaum – find nicht – find nichts – hilfe! – rechts – links – find mich – find – ich bin – im Labyrinth! – hilfe! – wo ist mein Faden – Ariadne! Tor – warum – so dumm – kennst die Geschichte – so überraschend – da! – das Tosen – aus der Tiefe – riefe – Minotauros mich – noch nicht – hier wieder Wand – mir schon bekannt – was – steht da? – gilt mir – lese: schuld ist Cosima!

Eva

tritt ein

Großmama, Herr Wolf bittet Sie dringend zu sprechen.

Alte Cosima

Ich bin nicht mehr zu sprechen.

Eva ab

Alte Cosima

Schuld?

Cosima

Woran bin ich 

Junge Cosima

schuld?! 

Ich bin eine Frau. Mir lagen …

Helden zu Füßen! ich habe

Götter gemacht wie andere …

… Kinder!

Mich haben …

… Genies geliebt!

Alle drei

Ich bin der Schoß deutscher Größe. 

Keinem Weib zu vergleichen!

Ich trage Namen, die zeugen Jahrtausende!

Ariadne.

Erbärmliches Heute! Kein Licht

Nur der Geist und das Werk

Meiner toten Geliebten!

Ich bin die Pflicht

Ich bin die Liebe

Ich bin das Mysterium

Ich bin alt

Ich bin böse.

Ich bin …

Nicht! Noch mal 

von vorne.

Hier ist er, der Faden. Festhalten jetzt und 

nie wieder loslassen … 

… Blandine – liebste Schwester,

wie schön du bist! 

                 Alte Cosima verwandelt sich in                                               Kleines Engelchen, ich seh                      

                 Blandine                                                                                 dir zu beim Spielen, deine

                                                                                                                 blonden Haare sind länger         als meine, 

du bist hübscher als ich, du bist älter als ich, 

du bist schwächer als ich, du bist das Einzige, 

was ich liebe, bin für dich Mutter und … komm: 

wir spielen Familie – 

Alte Cosima 

als Blandine

Wo ist Papa?

Papa ist berühmt. Papa macht Musik. Papa ist der größte Pianist. Wir sind stolz auf unseren Papa. Weißt du noch wie Papa aussah? Schau hier, das Bild von ihm.

Alte Cosima

Ich bin unfähig 

zum Glück

unfähig 

zu lieben, gefühlstod krankkalt. Vernünftige Gespräche sind mir andressiert, alles was ich kann, ist, einen guten Eindruck machen. Um mich rum schreien die Frauen vor Freude, vor Lust, vor Wut oder aus keinen Gründen. Aber sie schreien, Freiheit der Lüste, des Schmerzes. Ich kann nicht einmal weinen. Mein Körper …

Mein Körper …

Mein Körper …

 … dieses stumpfe reizlose etwas, ich will mir weh tun, ich hasse diese Scham, ungebraucht, jeder Versuch eine Komödie. 

Alte und junge Cosima

Ich will mir weh tun.

Cosima

Wo ist der Saft der Erde, der mich wegspült, alles kontrolliert, beherrscht: das ist Cosima, 

Alle drei

ICH – 

Cosima

eine Tat, deine Tat, Cosima, und kein Groll mehr für´s ganze Leben.

Cosima…!

Cosima …!

Anfangen. 

Alle drei

An keinen denken, als an mich. 

Dunkel ist es. Augen trotzdem schließen. 

Die Nebengänge voll 

von Menschen, loslaufen. Was 

nehme ich wahr? – nichts. 

Doch. Da ist was. Immerhin. 

Ganz egal jetzt – dorthin. 

Cosima

Ein Beben. Ein Erdenschwingen, muß furchtbar sein, da wird irgendwo etwas zerstört, gewaltig, gewalttätig, jedenfalls furchtbar. Egal jetzt.

Alte und junge Cosima

Egal jetzt. 

Cosima

Irgendwo wird die Erde durcheinandergerüttelt, Festen erschüttert, vernichtet, zerwühlt, in den Himmel gesprengt. Da muss ich hin. Mein letzter Gang. Egal jetzt. 

Alte und junge Cosima

Egal jetzt.

Cosima

Lebt wohl, meine ungeliebten Lieben, jetzt gibt es doch noch etwas von Cosima zu erzählen, ich renne, ich stürze, ich stolpere, aha, jetzt etwas wie Töne, lauter, ein Rauschen, ein Rausch, Musik,  Himmel, die Gänge sind richtig, kein Umweg mehr im Labyrinth, der Weg führt mich direkt hin, wo ich hinwill. Bestimmung? Schicksal? Nornen? 

Alte und junge Cosima

Egal jetzt.

Cosima

Egal jetzt. Rennen ist jetzt wie Fliegen, hier ist ja auch der rote Faden, das erste Mal, in meinem LEBEN, das alles so ist, als müsste es so sein. Die Musik! Wo hab ich das schon mal gehört? Doch wieder Betrug? Egal jetzt. Schritte werden immer größer. Dunkel hallend! Wer hat das je erlebt außer mir?! Ist das schön. Füße berühren schon keinen Boden mehr, ich kann fliegen, endlich mehr als die Nachbarsfrauen, unbekanntes Kribbeln, muss doch was schwingen können, in meinem Körper, höher, weiter, letzter Schritt, das Rauschen überlaut und immer näher, letzte Stufe, Abgrund …

Alte und junge Cosima

Egal jetzt.

Cosima

Sprung – ich FLIEGE. Große Halle im Labyrinth. Ich fliege durch den Zuschauerraum einer – Oper. Überall Menschen. Orchester spielt, Bühne klingt, Licht Schein-werfer, ich fliege – vorbei an den Rängen, am Kronleuchter … geblendet hell, bunt, flutend Theater, Musik … Jetzt reißt etwas in meinem Leib. Irrer Taumel. In meinem Bauch schreit eine Katze …

Musik. Tristan. Richard. 

Junge Cosima

Richard.

Alte Cosima

Richard.

Eine Pause

Cosima

Kleiner Tolpatsch mit den großen Hüten, voll ungeschützter Offenheit und dem berechnenden Kindergemüt. Hier finde ich mich. Ich liebe Richard Wagner. 

Alte und junge Cosima

Ich liebe

Cosima

Richard Wagner.

Alte und Junge Cosima

Ich liebe

Cosima

Ich liebe

Alte und junge Cosima

Richard Wagner.

Ich erinnere mich …

An eine Reise nach …

… Venedig. Wir wohnten in einem …

… Palast – 

Vendramin.

Richard war nicht wohl …

und …

und …

und …

die Musik reißt ab.

Cosima

schreit

Junge Cosima

Nicht. Bitte. Nicht.

Alte Cosima

Du darfst nicht! 

Wieviel war er älter!

Du hast es gewusst!

Du hast es gewollt!

schreit

Was verlangst du vom Glück? Hast du nicht alles gehabt – und mehr?

Du kennst deine Aufgabe! Hast es dir lange vorgenommen! Dein Leben wird anders aber vielleicht …

… beginnt es erst jetzt!

Du warst glücklich! Jetzt sei groß!

Größe, Cosima!

schreit

Es gibt keinen Arzt

es gibt keinen Gott

es gibt keinen Mann 

für deinen Schmerz!

Größe, Cosima! 

Richard braucht dich! 

Mach, dass die Welt 

ihn nicht vergisst!

Größe, Cosima!

schreit

Man muss kein Gott sein

um die Sterblichkeit zu bezwingen!

Größe, Cosima! 

Arbeit, Cosima!

Liebe! Erbarmen! 

Schluss jetzt! Feigling! 

Schwächling! 

Weib!

Weib!

Wer bist du, Cosima?!

Ich bin … ich bin …

Witwe! 

Wie stolz das klingt!

… ich bin …

Frau Richard Wagner! Erbin eines Genies!

 … ich bin …

Alte Cosima und Junge Cosima zusammen

Sag es mir!

Sag mir, wer du bist!

Cosima

… ich bin …

COSIMA!!

Alte Cosima

COSIMA.

Junge Cosima

COSIMA WAGNER.

Von jetzt ab

kein Erbarmen

wer diesen Namen 

nicht im Gebet 

buchstabiert.

Was ist dein Werk

was hast du geschaffen,

Cosima?

Kinder!

Falsch!

leise

Egal jetzt.

Was liebst du?

Was braucht deine Liebe?

Richard!

Falsch!

Egal jetzt.

Was lebt?

Was braucht deine Kraft?

Ich. Ich lebe.

Leise, wie vorsagend

Bayreuth.

Bayreuth.

Siehst du. Alles wird gut.

Egal jetzt.

Bayreuth. 

Alle drei

Ich. Ich lebe. Siehst du.

Bayreuth.

Auftritt Eva

Alte Cosima

Ich glaube, ich möchte Herrn Wolf jetzt empfangen.