10. Szene / I. Teil
Aus der linken Tür tritt Gunther. Er ist im Hemd. Zerfetzt. Erschöpft. Setzt sich auf die Erde. Ute dazu. Szene
geflüstert getuschelt.
Gunther Es geht nicht, Mutter …!.
Ute Was?
Gunther Die Frau! Sie ist das Unglück!
Wie konntest du mich diesem Weib verkuppeln!
Ute Wie? Ich? Ich hätte …? War’s nicht dein Wunsch,
Sie zu begehren? Ich hör’ dich noch: `Die schönste
Frau der Welt will ich mir für Burgund
Erobern …´
Gunther So sagte ich; doch hattest d u
Nicht meinen Ehrgeiz angestachelt?! `Tu’s
Deinem Staate! Sei ein Held!´ Und jetzt?
Ich versage! Ins Unglück stürzt du uns,
Die eigne Mutter!
Ute Fasse dich, Gunther.
Sei männlich!
Gunther Männlich? Wie denn? Geh d u doch
Rein zu diesem Teufel! Versuch es doch
Dich ihr zu nähern … mit sanften Worten, Zartgefühl …
Wie ein Stück Holz schaut sie mich an, bohrt sich
Mir in die Augen, packt mich an den Händen, und …
Was ist das für ein Weib!
Ute Ruhig, Junge, ruhig.
Dann macht man’s mit Gewalt! Bist du ein Mann?
Gunther Gewalt? Willst du mich lachen machen?
Soll ich mich biegen, schrei’n, vor lauter
Lustigkeit in meiner Hochzeitsnacht?
Was denkst du wohl, was ich versucht’?! –
Mit einem Schwung wollt ich den Arm ihr auf
Den Rücken drehen, sie von hinten fassen,
Mit der Hand ihr in die Haare greifen,
Dann den Kopf nach hinten biegen … ja,
Ich weiß, dass manchen Weibern das gefällt!
Und dass sie stöhnen, wenn ein Mann die Griffe
Gut und schnell vollführt; und dann noch dicht
Am Ohr mit leiser tiefer Stimme was
Entschloss’nes flüstert oder mit den Zähnen ihr
Die Haut am Halse beißt; ich kenn’ den Trick! –
Doch, ha, ich muss schon selber lachen: kaum
Hatt’ ich ihren Arm ergriffen, dreht s i e m i c h,
Und ich – wie vom Blitz geschleudert – fahr’
Herum in einer halben Wendung und
Von hinten mit der Kraft von Eisenzwingen
Fasst mich kalt und hart ihr Arm, und nun,
Nun flüstern i h r e Lippen dicht an m e i n e m
Ohr; wie Eiswind zischt es: `Wage, König Gunther,
Wage nicht, Gewalt mir anzutun! So wenig
Bin ich überzeugt von dir als mein
Geliebter, dass – im Angesichte deiner
Lächerlichen Liebesmühen – ich mich
Fragen muss, was für Gewalt du mir
Vielleicht schon angetan, von der ich gar nichts
Ahne?!´
Ute Was meint sie?
Gunther Was, nun was!
Island meint sie! Den Wettkampf um die Braut!
Ute Und? Hast du sie da nicht bezwungen? D u
Warst Sieger, fasse dich! Du bist der Stärkere!
Gunther Oh Mutter, lass die falschen Mienen,
Du weißt so gut als ich, dass ich’s nicht war,
Der jenen Kampf gewann! Wie ich weißt du,
Dass S i e g f r i e d mir
– getarnt mit seiner Zauberkappe –
Die Arme führte, als den Stein ich stieß;
Mich hob – wie man mit kleinen Kindern tut –
Beim Sprung; beim Wurf des Speeres mir
Den Rücken hielt! E r schleuderte die Waffe;
Siegfried gewann den Kampf; nicht ich – Brünhilde
Ist betrogen. – Schweig nicht so schamig zögerlich,
Tu nicht so überrascht; ich kennte meine
Mutter nicht, hättst du nicht alles, was
In Isenstein geschehen, längst durchschaut.
Ute Nun gut, nun gut. Doch, Junge, hilft es nichts,
Du musst hinein und diese Teufelskuh
Der Jungfernschaft berauben. – Gelingt es nicht,
Musst du sie töten.
Gunther Töten? Brünhilde töten?
Und wie? Soll ich den Wachen trommeln?
Und wenn sie alle Männer von der Burg
Über die Mauer in den Graben hat geworfen,
Was dann? Soll ich das Reich zu Waffen rufen!?
`Ihr zieht für Euern König in den Krieg!
- Wer ist der Feind? – Des Königs Frau!´ Ich bitt’ dich:
Mutter!
Ute Wie geht das zu! So stark
Darf keine Frau sein!
Gunther Aus ihrem Griffe konnte
Ich schließlich mich befreien; oder besser:
Sie ließ mich draus entkommen. Nun
Warf ich mich gegen sie; mit des Körpers Schwergewicht
Wollt’ ich sie auf die Bettstatt zwingen. Umsonst!
Die verfluchte Unschuld dieses Götterkraftwutweibes hielt
Mit e i n e m Arm mich auf, dreht mich
Noch in der Luft und öffnet mit der freien Hand
Den Gürtel mir. S i e öffnet meinen G ü r t e l,
Mutter! Als ich eben auf dem Boden lande,
Packt sie mich wiederum, dreht mir die Arme
Auf den Rücken, knickt meine Knie mit rohester
Gewalt, wie ich von keinem Mann mich je
Versehen, und fesselt mit dem Gürtelband
Händ’ mir und Füße in einem einz’gen
Bund. `Siehst du den Nagel, König Gunther,
Den Nagel an der Wand?! Betrittst du einmal
Noch dies Schlafgemach, wagst du dich einmal
Noch in diesem Leben, meinem Bett zu nähern,
So hängst du dort die ganze Nacht! Nichts braucht es,
Dich zu fesseln, als die eignen Kleider,
Merk dir das! Hab Acht! Versprich, dass du mich
Lässt; im Gegenzug bin ich bereit,
Vor deinem Volk den Anstand dir zu wahren.
Deine Herrschaft will ich teilen; nimmer
Dir das Bett. N i e wirst du
Anders mich zum Weibe haben,
Als neben dir im Staat auf deinem Thron.
Im Bett nie. Höre Gunther: nie! Niemals!´
Ute Schlecht kann man hier was missverstehen … und dann?
Gunther Was dann! Ich gab ihr das Versprechen.
Was hätte ich vermocht? Den Helden spielen, mir
In meinem eignen Zimmer an der eignen
Wand die Glieder aus den Gelenken kugeln?
Und morgen früh?: `O o, seht unsern König!
Wilde Spielchen muss er in der Hochzeitsnacht
Getrieben haben, seht ihn doch, er geht
Ganz krumm! Man muss ihn tragen! Nun; er hat ja
- Gott sei Dank – in Brünhild eine starke
Frau, die kann ihn auf den Armen halten!´
Soll ich der Schmach den Spott noch folgen lassen?
Ute Und nun?
Gunther Ja nun. Machen wir uns einen
Schönen Abend. Hast du nicht irgendwo
Ein Kartenspiel im Schrank? Du kannst es holen;
Dann vertreibt der König der Burgunder
Sich seine Hochzeitsnacht mit Spiel und Wein
Und seiner Mutter …. ! – Warum tust du mir das an,
Ute? Muss ich so tief sinken? Muss ich die
Achtung vor mir selbst verlieren? War dir nicht klar,
Dass wir gegen die Heiden nichts vermögen?!
Ute Eben weil mir’s immer klarer wurde,
Ist es so nötig, dass wir es versuchen!
Gunther Ich versteh dich nicht.
Ute Gunther! Du musst
Brünhild beschlafen! Ich kenn die Heidenweiber!
Stolz sind sie und unnahbar, wie
Bei uns nur Männer. Doch haben sie erst einmal
Unten gelegen, geht es leiser
Mit dem Gewese um die eigne Herrlichkeit!
In dir und ihr kämpft Mann und Frau für alle
Ewigkeit den letzten Kampf ums Vorrecht
Aus. Du musst der Sieger sein!
Mach ihr den Bauch dick; und sie wird dir folgen!
Gunther Schön und gut. Doch wie! Wie soll ich sie
Bezwingen?!
Ute Was w i e! Liegt es nicht auf der Hand?
Ein Trug, der einmal dir gelang, wird wohl
Ein zweites Mal ins Werk zu setzen sein!
Gunther Du meinst …
Ute Was meine ich …!
Gunther S i e g f r i e d?!
Ute Siehst du! Du hast noch
Eigene Gedanken …
Gunther Ich soll den Helden bitten, mir die Frau
Ins Bett zu ringen?! Und eben jetzt, in seiner
Eignen Hochzeitsnacht, wo er vermutlich
Kriemhild umarmt, den Preis für seinen Dienst,
Den er so lang ersehnt?!
Ute Kriemhild ist weniger
`Fesselnd´ als die Isensteinerin.
Ich glaube kaum, dass Siegfried mit der Braut
Schon auf dem Laken liegt. Kenn ich die Tochter richtig,
Sitzen beide ins Gespräch vertieft und Kriemhild
Erzählt vom Geist des Christengottes und
Der Reinheit ihres Körpers. Frisch, mein Sohn
Klopf an der Tür! Siegfried wird
Für Bewegung dankbar sein …
Gunther Und was soll ihn ‚bewegen’, mir hier wiederum
Zu helfen? Alles was er verlangte, hat
In Kriemhild er gewonnen. Es gibt sonst
Keinen Preis, der ihn verlocken könnte …
Ute Gemach. Siegfried liebt Kriemhilden; gut.
Er begehrt das junge Weib – gut, gut.
Doch soll ich nicht die Menschen kennen,
Ahnte ich nicht: eigentlich liebt Siegfried
Dich! Du bist sein Freund! Er braucht uns! Liebt uns!
An dem Platz in seinem Herzen, wo
Gewöhnlich Eltern sitzen und Geschwister
– Gunther! – sitzen w i r!
Gunther O könnt’ ich ins
Gesicht mir spucken! Den Mensch, der uns vertraut,
Betrügen?!
Ute Was betrügen! H e l f e n tut er:
Uns wie wir ihm, wenn wir seinem Irren
Eine Heimat bieten.
Gunther Blutsbruder ist er mir!
Ute Ein Grund mehr, dir beizustehen!
Gunther Ich will nicht!
Ute Nun – dann geh zurück in jenes Zimmer
Und lass von deiner Frau dich an
Den Nagel hängen!
Gunther Grausam bist du, Mutter …
Ute Nicht ich, mein Sohn; die Welt. – Warte hier.
Ich hole Siegfried.
2. Szene / II. Teil
Musik. Aus der Tiefe der Wiese fahren zwei riesige Treppen auf den Vordergrund zu. Auf ihnen stehen
Kriemhild und Brünhild.
Auftritt Ute, Hagen, Gernot, Giselher. Dienerinnen. Wachen. Vor der Kirche Ringolf.
Kriemhild Teure Freundin, sei gegrüßt! Es freut mich,
Dich auf dem Weg zu jenem Gott zu sehen,
An den in Worms die Menschen glauben. Du bist
Noch fremd. Doch sieh nur, was für herrliche
Kirchen wir unserm Herrn im Himmel bauen!
Stolz grüßt uns hier des Doms Portal; es ist doch
Schön, dass unser Herrgott nicht mehr in
Den Bäumen wohnen muss – Ich bitte dich:
Nach dir!
Brünhild Liebe Schwägerin; ich grüße dich!
Gewohnt, mich des Schutzes vieler Götter zu
Erfreuen, sieht Brünhilde keinen Grund,
Nicht auch den Römergott in Worms
In seinem Hause zu besuchen! Vielfältig
Sind die Götter, wie das Leben. Schön ist auch,
Dass Götter s i n d und immer waren –
Was jeder glaubt, was nicht, bleib jedem selber
Überlassen. – Nach dir, liebe Freundin.
Kriemhild Reden wir von einem Gott, der i s t,
So kann es sich nur handeln um den Herrn
Im Himmel, der seinen Sohn am Kreuze leiden ließ,
Um unsre Schuld zu sühnen. Sicher bin ich,
Dass die neue Königin Burgunds
– hat sie erst eine Zeit in Worms gelebt –
Genauso von der wahren Liebe Jesu Christ
Erleuchtet wird, wie es den Völkern hier
Am Rhein – es wird dir nicht entgangen sein –
Geschah. Drum: nach dir, Freundin.
Brünhild Liebe Schwägerin,
Es ist sehr nett, den Vortritt mir in deine Kirche
Einzuräumen. Allein – ich frage mich – :
Welchen Grund kann es hier geben, der
Dich in die Lage setzen könnte, mir
Einladungen anzubieten? Ich meine doch,
Dass mir, als Ehefrau des König Gunther,
Dem Herrlichsten der Wormser Helden, Vortritt
Vor allen andern Frauen von Natur
Gebührte!
Kriemhild Welchen Grund? Ich nenne zwei:
Es ist nicht `von Natur´ in Worms,
Dass die Erste Frau Burgunds im Geiste
Mehr zu den Göttern in den Bäumen betet,
Als zum Gott der Kirche. Du sprachst es eben
Selber aus: es ist m e i n e Kirche,
Die du nun betrittst und ich bin sicher,
Dass der Gott, den ich liebe, auch am liebsten
Mich zuvorderst am Altare sähe …
Brünhild Wo immer – liebe, junge Freundin – man
Gedanken mit den Worten `mein´ und `dein´
Und `haben´ und `besitzen´ in Bewegung bringt,
Stiften sie allzu leicht nur Streit. In jener Welt,
Aus der ich komme, hat man sie vermieden;
Die Worte – und den Streit. Doch nun:
Der zweite Grund!
Kriemhild Du sprachst von deinem Mann
Als einem König – und dem Herrlichsten
Der Helden unter den Burgundern. So denn: auch
M e i n Mann ist ein König und vielleicht
Von einem noch viel größren Reiche! Und
Was die Herrlichkeit betrifft: darin ist Siegfried
Dem Gunther zum Mindesten
Ebenbürtig wohl zu nennen!
Brünhild So hab ich
- scheint es – gründlich etwas missverstanden:
Mir wart dein Mann als Gunthers Eigenmann,
In seinen Diensten, als ein Diener vorgestellt …
Kriemhild So? Dann liegt das Missverständnis – scheint’s –
Bei mir! Ich dachte nicht, meine Familie,
Meine Mutter, meine Brüder hätten mich
An jemanden verheiratet, der
Dem König der Burgunder die Stiefel auszieht oder
Die Sandalen bindet…
Gunther Kriemhild!
Brünhild D e i n Mann
Steht im Dienst des m e i n e n und ist somit
K e i n Ebenbürtiger …
Kriemhild Wenn dem so ist, so haben
Meine Familie, meine Mutter, meine Brüder
Mich schmählich hintergangen! Wie hätt’ ich je
Einen Knecht zum Ehemann bekommen dürfen? …
Ich bitt’ dich sehr, lass künftig solche
Behauptungen ganz und gar sein.
Brünhild Es sind
Keine Behauptungen, Freundin, keine Unterstellungen.
Es handelt sich um Feststellungen, auf die ich
Allerschärfsten Wert lege und die ich
Wahrlich nicht unterlassen KANN.
Giselher Feststellungen, hohe Frau, zu der du jedes
Recht und jeden Grund hast, die von niemandem
Bezweifelt werden in der Runde.
Kriemhild Was höre ich? Von niemandem bezweifelt?
Gernot Wem nützt es, Schwester, an Dingen rühren, die
Allen bereits bekannt und keinem nutzen?
Vermieden seien an diesem glücklichen Tag
Worte, die verletzen. Die Klugheit schweigt darüber –
Hör’ auf deine Brüder!
Kriemhild Allen bereits
Bekannt? Nun denn – so schweige ich.
Brünhild Worüber
Schweigt die Klugheit?
Ute Ganz das, was eben auszusprechen
Sich meine Tochter hinreißen ließ.
Brünhild Mehr noch
Schwang in den Worten meines Schwagers. Erkläre dich!
Gernot Hier gibt’s keine Erklärung, als was immer
Erklärt war: Gunther ist König, wir alle
Folgen ihm! Siegfried schloss sich uns an.
In Gunthers Auftrag und Interesse
Vollbringt er seine Heldentaten.
Zu Recht nennt man den Mann, der dient: Diener.
Gunther Gernot!
Kriemhild So hätte eure Familienschläue
Mich einem Mann verschachert, der nicht nur
Nicht meines Glaubens ist, sondern vom Stande her
Weit unter mir?! Werden meine Brüder mir
Erklären, worum dies geschehen? Werden
Meine Brüder mir begründen, wozu sie mir
Das angetan? Warum sie mich, ihre Schwester,
Unter ihren eignen Wert erniedrigten?!
Ute Schweig, Kind!
Kriemhild Nicht schweige ich! Nicht mehr! Lange
Genug habt ihr mir den Mund verboten;
Lang genug in mir die Liebe unsres
Herrn Jesus Christ beleidigt! Lang genug
Wurde in den Gängen um meine Kammer,
In der ich züchtig betend lag, über mich
Getuschelt und gezischelt, gespottet und gelacht.
Und wofür? Dass ich mit aller Kraft,
Mit aller Inbrunst meines kindlichen
Gemütes euch gefolgt, geglaubt was ihr
Gesagt, getan was mir von euch gewiesen ward!
Heut ist der Tag an dem ich rede! Heute
Fordre ich mein Recht! Weil ich den Preis
Gezahlt, ein Gibichungenkind zu sein!
Ich habe mich geopfert, letzte Nacht!
Habe getan, was ihr von mir verlangtet.
Unwürdig ist der Gemahl, den ihr mir bestellt!
Sollte er mich nicht stolz und glücklich machen?!
Mir Ansehen schaffen in der Welt? Bin ich nicht
Auch eine Tochter Gibicas, e u r e
Familie? Hab ich kein Recht auf Glück?
Einem Sklaven habt ihr mich verschenkt!
Einem wilden Tier habt ihr mich vorgeworfen,
Auf dass es mich zerreiße! Das war nicht Liebe,
Was mich der Kuhjunge gestern Nacht erfahren ließ!
Das war Opferschlachtung, wie aus meinen
Schlimmsten Träumen ich’s nicht hätt’ erahnen können …
Hagen Wenn unsrer Schwester etwas zugestoßen ist,
Das nicht dem Gesetz der Ehe unterliegt,
So werden wir’s ergründen und wo zu strafen ist,
Auch strafen!
Gunther Kriemhild! Unsre Ehre setzt du hier
Aufs Spiel; aus – nun, wie soll ich sagen – Unerfahrenheit!
Schon aus den Jugendtagen wissen wir,
Dass du ein Wesen bist, das tief in sich
Verschlossen ruht, empfindsam über die Natur
Hinaus. Nicht leicht kannst du an Dingen Freude finden,
Die andre Menschen freudig tun …
Kriemhild Was willst du damit sagen? Willst du mich,
So tief erniedrigen…? Willst du das wirklich, Bruder?
Nun bitte: Sag was du meinst!
Gunther Die Mutter spricht!
Ute Nichts
Als dass an dieser Stelle das Gespräch
Beendet ist. Ich bitte meine Kinder
Mir in die Burg zu folgen.
Kriemhild Hier am Platz
Wird ausgesprochen, was viel zu viele Jahre
Flüsternd stets verstummte, wenn ich den Raum
Betrat, dass mir den Leib verschnürte, meinen
Atem presst …
Gernot Spiel dich nicht auf, Schwester! Was
Fährt in dich?
Kriemhild Nenn es göttliche Eingebung, nenn es
Hochmut des Christenmenschen, nenn es auch
Den Kampf um einen letzten Rest
Von Menschlichkeit, den ihr mir schuldet.
Was meinten deine Worte, Gunther! Sag es!
Gunther An diesem Freudentage werden keine
Bösen Reden meinen Mund verlassen …
Kriemhild Soll ich es selber sagen? Soll ich selbst aussprechen,
Was eure Zungen wetzen: Kriemhild ist
Zu dumm für die Liebe! Ihr Leib klingt nicht! Kriemhild
Ist trocken zwischen den Beinen. In ihrem Busch
Da krümelt es wie Sand! Wer die mal kriegt,
Der tut sich weh. …!
Ute Kind! Bist du von Sinnen!
So öffentlich sich zu entblößen! Ist das
Die Demut, die der Priester dich gelehrt?!
Führt sie hinweg!
Kriemhild Ich will wohl sehen, wer
Jetzt wagte, Hand an mich zu legen! Kriemhild
Hat noch nicht geendet!– Oh meine Brüder,
Meine fürsorgliche Mutter, du:
S o sagtet ihr, ihr alle; doch wisst ihr nicht,
Wie recht ihr habt! Keine Ahnung habt ihr,
In welchem Maße von Verzweiflung meine
Bitten um V e r g e b u n g meiner Sünden
Bitten waren, dass mir Sünden überhaupt
G e s c h e h e n würden! Es ist wahr; bitter wahr:
Kriemhild kennt vom Leben nichts, hat nur
Gedanken, die im Kopf sich drehen und die nichts
Vom Frauenfreuen wissen. Ich habe Angst!
Angst, immer alles falsch zu machen,
Angst vor eurem Spott und eurem Tadel, Angst
Vor dem Christengott, den alle nur
Den LIEBENDEN nennen! I c h k a n n n i c h t l i e b e n!
Ich bin gefangen in einem Käfig von Angst und wünschte
So sehr, dass mich wer daraus befreite! – Und wisst ihr,
Mit wem zum Letzten meine Hoffnung ich
Verband? Mit diesem Manne dort. Mit Siegfried.
Dass er mich endlich die Sünde lehrte,
Den Genuss. Die Freude. Dass endlich einer ist,
Der meinen Leib berühren wird, berühren
Darf, mehr d a r f, als ich es selbst mir je
Erlauben würde; dass er Kriemhild zum Lieben
Würde wecken können. So habe ich gehofft –
Und was geschah? Ich ahnte, dass der Mann
Nicht zart sein würde, dafür ist er zu sehr
Heide oder Nibelunge oder
Zwerg oder Riese oder was
Sich alle noch erzählen. Auch wusste ich,
Dass in der ersten Liebesnacht die Jungfrau
Schmerz erleidet – eine Dienerin,
Die mich in Tränen fand, ob des „glücklichen“
Anlass’ der geplanten Hochzeit, hatte mir’s
Verraten. Auf Schmerz war ich gefasst;
Aber – Siegfried – dass ich so glatt
Vergewaltigt werden würde, dass ich von dir
Besprungen werde, wie der Hahn das Huhn bespringt,
Dass du mich packen würdest wie’s Katzen treiben
Jaulend ins Genick verbissen, dass du mich
Hacken wirst, als wollest du
Holz spalten – das, Siegfried; sieh’ mich an! –
Das hab ich nicht erwartet! – Woran also
Hab ich Schuld? Bin aller Rechte ich
Enthoben, nur weil ich nicht stöhn’ und schreie
Wie ein Tier – wie diese dort? Nochmals:
Wer ist der unter euch, der mir
Den Eintritt in die Kirche als Erste Frau,
V o r allen anderen, zu i h r e m Gott in
I h r e Kirche weigerte?
Gunther Das Gebot
Der Höflichkeit und des Standes. Meine liebe
Schwester: es geht nicht! Sieh meine Frau, die
Königin Brünhild: eben frisch in Worms,
Sie hat das Recht. Es muss sein! Sie schreitet
Als erste durchs Portal!
Brünhild Nun, Gunther, gerne
Verzichte ich auf dieses Recht. Es tut mir
Leid; im Herzen leid, was deine Schwester redet.
Ich bitte, Gunther: kläre auf, was Kriemhild
Dem Siegfried vorwirft. Lass auch Siegfried reden!
Und Strafe, wo zu strafen ist!
Kriemhild Haha!
Das ist lustig! Selbst wenn er wollte – wie könnte
Mein Bruder Siegfried strafen?
Brünhild Kriemhild! Ich möchte gern
Verstehen, was so tief im Herzen dich verletzt.
Dir sei verziehen, dass du in deinem Schmerz
Den Bruder eben schwer beleidigtest.
Doch den König in seiner Ehre anzugreifen …
Kriemhild! Das darfst du nicht! Schütze
Gunthers Heldenehre!
Kriemhild Ehre?! Held!?
Das kann er uns doch gleich beweisen! Hier
Und jetzt! Gunther, König von Worms: der Fall ist klar!
Siegfried hat deine Schwester in der Hochzeitsnacht
Geschändet. Willst du das Blut zwischen meinen Schenkeln
Laufen sehen? Die zerfetzte Haut, zerrissnen Sehnen?
Wie alles in Entzündung brennt und schwillt?
Sehen, wie der wilde Heide mich da,
Wo ich am zartesten noch bin, in
Ein Monster hat verwandelt? Gerne zeig’ ich’s dir!
Komm her und sieh mir untern Rock! – Du willst nicht?
Du glaubst mir ohne den Beweis? Nun;
Umso besser! So strafe Siegfried! Lass ihn
Ergreifen! Pack ihn selber! Vorwärts! Los! –
Du zögerst? Siehst du, Feuerfrau, dein König und
Gemahl versagt.
Brünhild Die Erste wärest du,
Die das behauptete!
Kriemhild Vergiss nicht, Königin von Isenstein,
Um wie viel länger ich als du ihn kenne…
Brünhild Doch weiß – verzeih – weiß ich es besser! Muss
Es besser wissen! Hab ich doch seine Stärke
An mir selbst erfahren …
Kriemhild Dann muss das Lüge sein,
Das mit Brünhilde und der Wotankraft,
Wenn ein Gunther dich besiegen konnte!
Brünhild Himmel! Liebe Freundin, bitte, beruhige dich!
Du greifst in mein Herz hinein! Kein Falsch jetzt,
Keine Verstellung mehr; ich fühle mich – o Kriemhild –
Stärker dir verbunden, als du selber
Glauben magst: beide wurden wir
In der letzten Nacht zur Frau. So drum:
Wer sollte wohl die unerschaffene Kraft, das
Begehren, mit dem Gunther mich bezwang,
Besser kenn’n, als ich? Das erste Mal
Bewies er seine Stärke in der Feuerlohe,
Das zweite Mal zeigt’ er es in der Dreifachprüfung
Auf Isenstein, wo er mit mir
Auch Wotans Kraft besiegte …
Kriemhild Und
Das dritte Mal?
Brünhild Lass mich jetzt sehr frei reden
Und sagen, dass es nun mal so ist, dass nur
Die Frau von ihrem Manne Dinge weiß
Die anderen verborgen bleiben.
Das dritte Mal? Dir, Schwägerin, dir will ich es
Getrost vertrauen, das dritte Mal bewies er’s
In der letzten Nacht, in der sein Wille
Mit großer Lust an mir geschah.
Kriemhild Sein Wille?
Sein W i l l e schon; doch nicht sein … nun,
Eine echte Heidenhure, wie du es bist,
Müsste mich verstehen.
Giselher Kriemhild, was tust du!
Gernot Bist du wahnsinnig, Schwester?!
Brünhild Gunther!
Ich bin beleidigt! Kläre! Räche! – oder
Die Königin von Isenstein ist fortan
Feindin von Burgund!
Gunther Siegfried! Schwöre:
Achtest du in Kriemhild, Tochter der Könige von
Burgund, dein einzig Eheweib und willst ihr
Treu sein bis ein höheres Geschick
Aus dieser Welt euch scheidet!
Siegfried Ich schwöre!
Gunther Hast du jemals
Brünhild, Königin von Island und Burgund,
Berührt wie es nur ihrem Ehgemahl
Anheimsteht, wie nur Frau und Mann
Sich im Ehebund berühren?
Siegfried Nein.
Das nicht.
Brünhild So lügt dieses Weib!
In den Kerker mit der falschen Zunge,
Bis dass ein ehrliches Gericht sie richte.
Ergreift sie! Bindet sie!
Kriemhild indem sie ihre Hand in die Höhe hält Brünhild von Isenstein!
Sieh auf mich: kennst du diesen Ring?! –
Du erbleichst? Du fragst dich, wie er an meine Hand
Gekommen? Nun: i c h w e i ß, wie ich ihn erhalten!
Frag du dich, wie du ihn verloren! Ich zog
Vom Finger meines ehelichen Gatten ihn,
Als er – nachdem das Schlachtwerk er an mir
Vollzogen – in einen tiefen Schlaf gefallen,
Schlaf, indem er wohl wahrscheinlich wieder was
Von dem Vergessen suchte, das – seit er
In Worms sich aufhält – ihm so wunderlich
Anheim. – Sah ich den Ring bei deiner Ankunft nicht
An d e i n e r Hand? Hast du ihm wann den Ring
Geschenkt? Nicht? Hat er den Ring dir mit
Gewalt entrissen? Bei welchem Kampf? Wann
Kämpftest du zuletzt denn Wotans Wutrausch,
Du Götterkraftweib? Wann warst du denn zuletzt so
Herrlich überwunden, wie du uns
Am hellen Morgen schwärmst? Und wer
War’s denn dann, der dich überwand und dir
Die Jugendkräfte raubte? Gunther wohl.
So wird’s gewesen sein. Dann war es sicher
Gunther auch, der dich auf Isenstein
Mit seinen Wettkampfkünsten so beeindruckt hat.
Da liegt doch alles hell am Tag. Das war’s dann wohl. – Und nun:
Mir aus dem Weg. ALLE!
Kriemhild geht in die Kirche.
Brünhild Jetzt, Wotan;
Jetzt vernehme ich dich wieder …
5. Szene / II Teil
Hagen. Kriemhild.
Hagen Die Männer gehen zur Jagd. Ich möchte Abschied nehmen.
Kriemhild Gut.
Hagen Wie geht es meiner Schwester?
Kriemhild Gut.
Hagen Bluten deine Wunden noch?
Kriemhild Sie bluten langsamer.
Hagen Dein Mann ist unverletzlich. Durch das Drachenblut, indem er badete. Wie fühlt er sich an, dein Mann?
Kriemhild Hart. Man reibt sich wund an der Panzerhaut.
Hagen Es tut weh, wenn einer unverletzlich ist.
Kriemhild Ja. – Bis auf die Stelle am Rücken.
Hagen Ja. Da lag das Lindenblatt. Dort ist er ungeschützt.
Kriemhild Auch mein Körper hatte eine Stelle, an der er ungeschützt war. Siegfried kannte sie gut.
Hagen Kennst du die seine?
Kriemhild Ich suchte sie, als er auf mir lag.
Hagen Du hast sie gefunden?
Kriemhild Ja.
Hagen Räuber sind im Wald, feindliche Horden. Wir werden uns rüsten müssen.
Kriemhild Ich weiß.
Hagen Ich dachte, es wäre vielleicht dein Wunsch, dass ich deinen Mann beschützte.
Kriemhild Das wäre mein Wunsch.
Hagen Dann musst du mir sagen, wo diese Stelle ist, die ich besonders schützen muss. Besonders von hinten.
Kriemhild Ja. Von hinten. Das wäre mein Wunsch.
Hagen Frauen nähen Männern Kleider, dass sie sich warm und sicher fühlen. Vielleicht willst du das auch für deinen Mann tun?
Kriemhild Ja. Das will ich.
Hagen Vielleicht möchtest du ein Kreuz nähen auf jene Stelle, die ungeschützt ist, hinten am Rücken, damit ich sie kenne, wenn ich deinen Mann beschützen will.
Kriemhild Das werde ich tun, Hagen.
Hagen Dann leb wohl.
Kriemhild Gut.
9. Szene / II. Teil
Über der Kirche geht Licht an. Ringolf. Hagen. Orgelmusik.
Ringolf Hagen von Tronje ! Glaubst du an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde ?
Hagen Ja.
Ringolf Glaubst du an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn?
Hagen Ja.
Ringolf Glaubst du an den heiligen Geist, an die heilige, katholische Kirche?
Hagen Ja.
Ringolf Sagst du dich los von Satan?
Hagen Ich sage mich von ihm los.
Ringolf Und allen seinen Werken?
Hagen Ich sage mich los.
Ringolf Und all seiner Pracht?
Hagen Ja. Ich sage mich los.
Ringolf Hagen von Tronje! Ich frage dich: willst du getauft werden?
Hagen Ja. Ich will.
Ringolf Gehe hin in Frieden und der Herr sei mit dir.
Hagen geht zu Kriemhild, zieht den Ring von ihrem Finger und steckt ihn sich an die Hand. Musik aus.
Hagen Nun lass uns sehen, Vater, was der Ring
An meiner Hand vollbringt.
Black.