Textauszug Nibelungen III

Personen

Etzel König der Hunnen

Ruga                                        

Ellac                                       Generäle im hunnischen Heer

Hödur                                    Vorsitzender der Versammlung der Völker

Athaulf                                   König der Goten

Cymen                                    Königin der Sachsen

Fara                                         Fürstin der Heruler

Tassilo                                     Fürst der Bajuwaren

Thrasamund                           Fürst der Vandalen

Kriemhild (Frauenstimme)           Königin der Hunnen

Ortlieb                                      Kind von Kriemhild und Etzel

Gunther                                    König von Burgund

Gernot

Giselher                                    dessen Brüder

Hagen von Tronje                       Heermeister der Burgunder

Burgundische Offiziere                 (drei)

Drei schwarze Männer

Soldaten des hunnischen Königs.  (sechs)

Frauenstimme vom Band

Sage mir, wer du bist, ich werde dir glauben. Und es ist egal, ob du mich belügst; ich werde glauben. Wenn du lügen willst, mein Liebster, lüge. Ich werde nicht mehr kämpfen um die Wahrheit. Mein Herz hat ein Wirbelwind geformt.

Ellac mit Übersetzung

Das Wort hat nun Etzel, König der Hunnen.

Etzel gibt Ellac ein Zeichen.

Ellac ohne Simultanübersetzung

Der König der Hunnen möchte reden ohne Öffentlichkeit. 

Im Folgenden schweigen die Übersetzer.

Etzel

Es ist gut, dass wir uns treffen zu einer großen Versammlung. Ein Kampfkrampf der Völker hat in Germanien getobt. Viele Bäume sind entwurzelt, viele Häuser zerstört, weißer Schnee liegt auf den Wiesen, wir sind wund im Herzen und unser Geist ist müde: vom Weltgebäude stürzen Göttertrümmer in unsre Köpfe und zerstückeln uns.

Noch ist die Zeit der Trauer, der Besinnung. Noch betrachten wir das Gräuel und ihr fragt euch: wie konnte das geschehen? Wie konnten  w i r, die germanischen Völker dieses Übermaß an Vernichtung von Städten, diesen unfasslichen Hass und das Sterben Tausender und Abertausender Männer, Frauen und Kinder, zulassen? Wie überhaupt konnten wir, die germanischen Völker, jemals zulassen, dass unsere Führer diesen Krieg beginnen?! 

Völker! Ich freue mich, im Frieden in eurer Mitte zu sein. Und ich sage euch: die Zeit nach einer großen Zerstörung ist eine gute Zeit. Eine Zeit des Bauens und der Erneuerung. Die Zeit, für unser neues Leben neue Ordnungen zu schaffen. Und weil wir viel gelitten haben, sind wir offen für alles Neue, weil es besser sein wird, als alles Alte.

Aber wie wollen wir den Bau beginnen? Der Krieg hat ein Vielfaches der Geldmengen unserer Staatskassen verschlungen. Es fehlt an Gold. Und viele unter euch werden sich fragen: wie will Etzel es schaffen: das Gold. Und ich sage euch: es gibt das Gold des Nordens. Verbürgte Tradition ist der Reichtum der Berge und Wälder, Sagen dokumentieren seine Herkunft. Vom Gold der Nibelungen rede ich. 

Ist es wirklich das Gold der Nibelungen? Kann so unermesslicher Reichtum überhaupt einem Einzelnen oder einem einzelnen Volk gehören? Ist dieses Denken einer modernen Zeit, die wir heute beginnen, gemäß? Müsste nicht in einer Gemeinschaft des Friedens das Gold der Nibelungen uns allen gehören, all den fleißigen Stämmen, die arbeiten wollen, die aus dem Wert des Goldes schöpfen und seinen Wert vermehren wollen als Gewährung einer friedlichen Zukunft?! Ist es nicht an der Zeit, dass wir unsere neuen Begriffe von Recht und Gerechtigkeit auch auf den Goldbesitz der Nibelungen anwenden und auf dem Gold eine Währung gründen, die der ganzen Welt gehört?

Ich meine: ja. Ja, weil das der Sinn neuer Sittlichkeit ist. Doch meine ich auch: nein. Nein, weil ich nicht in alten Zwist neuen Hass säen will. Darum frage ich, wie es sich nach  a l t e m Erbrecht mit dem Besitz des Schatzes verhält. Ich stelle fest: Das Gold gehörte einst Alberich, der es aus dem Berg befreite, dann Fafnir, dann Siegfried. Wenn dem so ist, dann ist auch 

a l t e s  Recht, dass das Gold nun Kriemhild, Siegfrieds Witwe gehört. Kriemhild ist jetzt MEINE Frau; wer will mir widersprechen, wenn ich behaupte: nirgendwo anders hin gehört der Schatz der Nibelungen als in Etzels Hochzeitslager. Ist das nicht  a l t e s  Recht?   M e i n Recht?!

Und wird mir dieses Recht in eurer Mitte nicht zur Pflicht, mit der Kraft des Goldes Frieden unter euch zu stiften, euren Völkern neuen Zusammenhalt zu geben? War es nicht von je die Pflicht der Hunnen, Gerechtigkeit in diesem Krieg zu schaffen? Kamen wir als Eroberer? – Nein. Fara, Königin der Heruler, hat uns in die Schlacht gerufen, als ihr Volk unter der Übermacht des Geiserich, des Führers der Vandalen, zu ersticken drohte. Wir haben Geiserich geschlagen und ich hoffe, im neuen König der Vandalen, in  d i r, Thrasamund, einen Verbündeten zu haben. Kaum war die Bitte um Hilfe der Heruler an das Volk der Hunnen ausgegangen, so wurden wir überfallen von Alarich, dem Fürsten der Goten. Wir haben auch Alarich besiegt und freuen uns, dass das Volk der Goten einen neuen, klugen Führer sich in  

d i r, Athaulf, gewählt hat, mit dem wir friedlich jetzt an einem Tische sitzen. Wir haben uns nicht nach Germanien gedrängt; wir wurden g e b e t e n,  h e l f e n d   uns in den Krieg zu mischen; und  h e l f e n d reichen euch die Hunnen nach dem Kriege nun die Hand zum Aufbau einer neuen Ordnung. Unsre Hand ist stark – gefestigt in einem unbeugsamen Willen nach Gerechtigkeit und Freiheit.

Ihr seid besiegt; besiegt von meinem Volk. Gut. Und nun? Komme ich, und fordere von euch Tribut? Sollt ihr mir eure Burgen plündern, eure Maschinen zu den Hunnen tragen? Fordre ich eure Kinder mir zu Sklaven? Nein. Ich beschenke euch. Ich teile mit euch den Schatz der Nibelungen. Und was will ich dafür? Nichts, als die Bajuwaren fragen: ihr habt Berge, ihr habt Eisen, soviel, dass ihr es nicht allein für euch verbrauchen könnt. Gebt mir Eisen für das Gold; und so ihr Arbeit für mich leistet, sei sie mit dem Gold bezahlt. Und den Goten sage ich: schaut, ihr habt Wälder, wohin das Auge blickt. Gebt mir Holz für das Gold, dass ich Boote bauen kann und Häuser, und gute Tische und Stühle für die Familien meines Volkes. Die Heruler haben nichts, gar nichts in ihrem Land, außer der Kohle in der Erde. Gut, sage ich, gebt mir die schwarzen Steine, bringt mir eure Kohle nach Hunnenland und nehmt dafür das Gold. Und weiter: noch weniger besitzt das Volk der Friesen, sie sind umgeben nur von Meer, das in den Zeiten übers Land kommt. Was hinterlässt das Meer? Salz. Nun denn, sonst habt ihr nichts, ich nehme euer Salz für Gold und eure Familien sollen reich sein mit dem Gold der Hunnen. Ist das gerecht gedacht?  Ist das nicht großzügig von mir gehandelt? Betrüg ich nicht mein Volk um eignen Vorteil!? 

Nun die Burgunder. Was soll ich ihnen tun? Soll ich Worms in Schutt und Asche legen, weil seine stolzen Könige bis heute meine Macht nicht anerkennen? Soll ich ihnen gierig das Gold entreißen? Weiter Leben von Soldaten opfern? Es gibt nicht Wenige, die mir so raten; ich sage: nein. Teilen wollen wir mit ihnen; zu ihrem und unser aller Vorteil. Und ist es nicht ein Fingerzeig des Schicksals, dass durch Kriemhild, meine Frau, zwischen Hunnen und Burgundern bereits ein familiäres Band besteht? Seit Jahren bittet mich die Königin, ihre Brüder aus Burgund an unsern Tisch zu laden. Ich meine: sie hat recht. Zeit ist es, dass ich meine Schwäger kennen lerne, Zeit, dass Kriemhild ihre Brüder wieder in die Arme schließt und der Familienbund sich auswächst zu einem starken Weltenbund der Völker.

Ich steh in eurer Mitte nicht als Sieger. Auch nicht als Gönner, der den Reichtum anderer verschenkt. Ich stehe hier als Bittender. Ich bitt euch um das höchste Gut, das es auf Erden zu verschenken gibt: Vertrauen. Ohne Vertrauen wird es keinen Frieden geben. Drum: nehmt mich auf in eurer Mitte. Schenkt mir Vertrauen, Hilfe, Freundschaft.

Ellac

Athaulf, König der Goten hat das Wort.

Athaulf

Ich wünsche, öffentlich zu reden.

Ellac gibt ein Zeichen zu den Übersetzern, im Folgenden wird wieder übersetzt.

Athaulf mit Simultanübersetzung

Ich lese aus dem Beschluss dreiundvierzig eins und stelle gleichzeitig den Antrag, den Beschluss ergänzend in die Tagesordnung aufzunehmen:

Wichtig ist, dass beim Bau der neuen Strassen und Brücken nur eine bestimmte Prozentzahl unserer Wälder geschlagen wird. Um zu erreichen, dass wir nicht in 100 Jahren unsere Wälder vernichtet haben, müssen wir den jährlichen Baumschlag verringern. Mein Volk, die Goten, verpflichten sich, den jährlichen Baumschlag um 25% zu verringern. Die Heruler und Bajuwaren entschließen sich auf Grund geringerer Flächen und regionaler Besonderheiten den Baumschlag in Jahresstufen um 13 – 15 – bis auf 18 % zu verringern.  Das wird von uns akzeptiert, trotzdem werden die Goten mit einer Selbstverpflichtung vorangehen, um ein gutes Beispiel zu geben. Wenn aber andere Staaten, zum Beispiel die Hunnen oder die Tenktrerer, sich nur verpflichten, den jährlichen Baumschlag um 4% zu verringern, werden wir unserem Ziel, die Wälder zu erhalten nicht näher kommen. 

Ellac mit Simultanübersetzung

Athaulf hat gesprochen. Cymen, Königin der Sachsen, hat das Wort.

Etzel  zu Ellac

Jetzt.

Ein Bote tritt auf. Verhüllt.

Bote

König Etzel.

Etzel

Willkommen Hagen von Tronje.

Hagen

Ist alles bereitet, wie wir besprochen haben?

Etzel

Alles. Ihr führt das Gold in euerm Tross?

Hagen

Nein.

Etzel

Wo ist das Gold?

Hagen

Wo du es niemals finden wirst.

Etzel

So hältst du dein Versprechen?

Hagen

Erst halt’ du deins. Erst, wenn du die Könige getötet hast, erst dann bekommst du deinen Teil. 

Etzel

Wer sagt dir, dass ich – wenn du mir das Gold nicht bringst – die Könige töten werde?

Hagen

Wenn nicht  d u, werden  w i r  es tun. Wir sind bewaffnet.

Etzel

Und Gunther ist in deinen Plan geweiht?

Hagen

Gunther liebt die Tat, ist nur nicht gern der Täter.  Meine Vorbereitung ist getroffen. 

Etzel

Was sagt Rom?

Hagen

Mach mich zum König der Goten, Sachsen und Vandalen. Vereint dann mit Burgund und dir wird Rom nichts mehr zu sagen haben.

Etzel

Und – wenn ich andre Pläne hätte?

Hagen

Was willst du planen, Etzel? Es gibt nichts, was du planen könntest. Das Gold der Nibelungen rettet deinen Staat. Mein Vater ist betrogen und drum gemordet worden, Fafnir, Siegfried ließen für das Gold ihr Leben. Ich werde klüger sein. Mach mich zum König der Germanen – dann lass ich dir von meinem Gold.

Etzel

Die Fürsten vertrauen mir. Was, wenn ich dich bäte, einen andren Weg zu denken …

Hagen

Lass das, König. Was ist dein Wort?

Etzel

Wenn du so willst …: Zum großen Sterben ist bereitet. Ihr naht euch unsrer Halle. Die Könige sind unbewaffnet. Alles ist umstellt mit hunnischen Soldaten. Sobald ihr vor den Türen steht, werd ich zum Angriff Zeichen geben.

Hagen

So dann. In wenig Stunden sehen wir uns wieder.

Hagen ab.

Etzel

Ich bitte meine Frau zu mir.

Ellac nach draußen rufend und sich fortsetzend in anderen Stimmen, verhallend

Königin Kriemhild in die große Halle. Etzel bittet die Königin zu sich. Die Königin Kriemhild! Kriemhild!

Frauenstimme off

Man will mich wieder fangen mit einem Namen! Jetzt muss ich acht geben! Dass keiner merkt, dass ich Angst habe. Denn viel schlimmer als die Angst selber, ist, wieder in die Angst hinein zu geraten und mit der Angst schlafen zu müssen und sie hängt einem an wie ein Schmerz, jede Minute, jeden Tag. 

Ellac

Herr! Die Königin!

3. Szene

Auftritt Kriemhild. Langsam. Unsicher.

Kriemhild  zu sich selber

Nein, ich darf nicht erkannt sein. Ich muss acht geben, dass ich mich nicht in dem Netz verstricke, das sie über mich werfen mit diesem Namen. Kriemhild. Frauen, die Namen tragen, sind betrogene Menschen. Verführt zur Liebe von ihrer Jugend und ihrem Geschlecht. Unter Schmerzen ein Kind gebärend, nur noch Mutter dann, besessen vom Kindbesitz, bis sie verlassen wird vom Kind. Eine Frau ist ein Gefäß, in dem sich Männer aufbewahren.

Ich muss Kriemhild spielen, um nicht wieder Kriemhild zu werden … 

Etzel

Sie erkennen mich?

Kriemhild

Sie sind Etzel, mein Mann.

Etzel

Sie erinnern sich, was wir beredet haben? Ihre Brüder, Kriemhild. Sie haben sie sehr lange nicht gesehen. Könige sind es; von Burgund.  S i e, Kriemhild, haben sie an unsern Hof geladen. Sie kommen. Heute. Aus Burgund.

Kriemhild für sich

Burgund! Das Wort schwingt in meinem Kopf. Was will mir’s sagen? Burgund, Burgund, das war, wo ich Kriemhild war … ich will nicht mehr soweit hinab in meinem Leben. Liebster, halt mich fest! Kleiner werde ich und immer jünger, ich fliege zurück in die Zeit, als Kriemhild ein Kind war. Nichts stimmte in Burgund. Nichts stimmt, wenn so hohe Mauern gebaut werden, vor denen man sich klein fühlt; wenn so steile Wände aus Glas und Beton und Stahl auf so kleine Plätze Erde gebaut werden, dass man sich wie eine Ameise fühlt und nicht mehr glauben kann, dass es Ameisen waren, die dieses Gebirge aus Stahl und Glas und Beton gebaut haben und dass es eigentlich viel größere Tiere gewesen sein müssen, die stecken in diesen Riesenwänden und wenn man durch die Schluchten geht bekommt man eine Angst, dass vielleicht eins dieser großen GlasStahlBeton-Tiere  einen Fehltritt macht und mich zerquetscht mit seinen plumpen Füßen. Ich weiß nicht mehr sicher, ob es für Menschen gemacht war, Burgund. Etwas stimmte nicht.

Etzel

Freuen Sie sich, Ihre Brüder zu sehen?

Kriemhild

Nein.

Etzel

I c h   freue mich. Es ist schön, dass ich meine Schwäger kennen lerne.

Kriemhild

Es ist schön. Lernen Sie kennen, Etzel. Ich gehe …

Etzel

Nein, Kriemhild. Nicht. Ihre Brüder kommen Ihretwegen. Was sollen Ihre Brüder denken, Kriemhild, wenn sie Sie zur Begrüßung nicht umarmen dürfen!

Kriemhild  für sich, nervös

Mich umarmen?! Ich will nicht umarmt sein von Burgundermenschen. Und immer wieder dieser Name, alles wird neblig, verfluchtes Fallen in Vergangenheit …! Da! Wer kommt da? Die Frau mit den weißen Haaren … Du willst mich kennen, ich spüre es, damals warst du … mit der Stimme von Ute  …Kriemhild. Ich war Kriemhild, bevor ich deine Mutter wurde, sei ruhig mein Kind, jede war Kriemhild, bevor sie Mutter wurde und jede Mutter verrät ihre Kinder und vergisst, was sie liebte, wenn sie alt wird wie Ute. Höre, Kriemhild: Die Zeit löscht alle Empfindungen in unserem Herzen und nur das eine bleibt, wenn wir vergessen haben, wer unsere Kinder sind und was mal ‚Mann’ war: dass wir uns selber lieben müssen, solang wir Menschen sind. Du bist voll unheimlichen Lebens, Kriemhild. In dir lebt ein Wesen, das niemand kennt. Du bist durchtränkt von aber tausend Jahren, sei ruhig, Kriemhild, bald bist du  …  Stimme der Kriemhild  Brünhild! … Stimme der Brünhild  Nicht. Noch nicht. Du wirst es werden. Dein Herz schlägt stark. Stimme der Kriemhild  Du riechst nach Feuer, Brünhild …  Stimme der Brünhild  Ich bin so oft verbrannt, habe mich in Abgründe gestürzt, bin im Meer ertrunken … Höre, Kriemhild: kannst du hassen? Einen Hass, der aus der Mitte der Erde kommt? Stimme der Kriemhild… Dich! Dich habe ich gehasst, liebe Freundin, aber wie hat der Hass jetzt eine andere Farbe! Wie liebe ich meinen Hass, weil er dich mir eint, unser Hass, der nicht mehr als lachende Luft ist und schau nur, wie sie uns Hexen nennen, weil sie nicht verstehen und keinen Hass haben in ihrer krautigen Vorstellung von Frieden. Brünhild! Mit dir kann ich fröhlich sein! Weißt du noch – die Treppe? – Stimme der Brünhild  Das ist es nicht, Kriemhild, das ist es nicht …

Von der Wiese her dumpfe Trommeln. Musik.

4. Szene

Die germanischen Könige kehren zurück. Von unten nähern sich die Burgunder. Rechts und links neben der Versammlung der Könige hunnische Krieger mit Gewehren.

Tassilo

Etzel! Deine Soldaten ziehen um die Halle sich zusammen!

Thrasamund

Was soll das! Das Hunnenheer bewaffnet sich!

Kriemhild

Ich bitt, ihr Herren, lasst mich durch.

Athaulf

Die Frau festhalten.

Etzel

Nun seht, hier ist Kriemhild. Befragt sie.

Thrasamund

Die Burgunder nähern sich mit gezückten Waffen. Warum? 

Kriemhildzu sich 

Die Kriemhild-Angst würgt mir im Hals. Luft! Luft! Das viele Licht! Ich sehe nicht, was kommt … da, doch, da … kommen Gesichter aus Worms, Geschwistergesichter … Aber die da, die kommen nicht lebendig. Sie kommen … bleich und kalt … Mutter – was wollen die von mir?

Cymen

Königin! Erkläre dich!

Kriemhild für sich

Stimme der Ute, bleibt unter der folgenden Szene liegen.

Eiris sazun idisi          Sazun hera duoder      Suma hapt heptidun   Suma heri lezidun       

Suma clubodun           Umbi cuoniouuidi:     Insprinc haptbandun  Inuar uigandun           

Fara

Nicht so grob mit der Frau. – Kriemhild! Wir grüßen dich.

Kriemhild

Kriemhild grüßt euch.

Cymen

Wir hören, hohe Frau – und freuen uns – König Etzel hat deine Brüder aus Burgund an seinen Hof geladen. Du stimmst der Ladung bei. Wirst deine Brüder du willkommen heißen? Freust dich, sie zu sehen?

Kriemhild

Ich freue mich, ja, ja. Willkommen. Willkommen.

Tassilo

Sprich klarer, Frau, dass wir vertrauen können. Was ist hier Wahrheit, was ist Lüge? 

Kriemhild

Vertraut. Auch wenn es Lüge ist. Nur das es gut gelogen ist. Wahrheit taugt selten für die Zukunft.

Fara

Sprich deutlich!

Kriemhild

Ich sage es deutlich. Deutlich. Ich habe gesagt: deutlich. Wollt ihr mich jetzt entlassen?

Cymen

Wer war es damals, der deinen Siegfried tötete? Kannst du dich erinnern? 

Kriemhild  für sich

Schweine fliegen in der Luft. Vögel greifen Katzen an und Kinderköpfe rollen den Berg hinab. Etwas stimmt nicht …  Zu den anderen   Siegfried, ja, ja, ich erinnere mich …

Thrasamund

Die Frau ist krank im Kopf …!

Athaulf

Stimmt, Königin, was man sich erzählt: dass es im Hunnenlager keinen Krieger gibt, der dir nicht die Beine spreizte?

Kriemhild

Ja ja, ich erinnere mich …

Etzel

Höre, Athaulf, nur das Gastrecht hindert mich, dass ich dich zertrete wie eine Ratte, die denkt, weil sie in meiner Vorratskammer stöbert, sich mit mir an einen Tisch zu setzen!

Athaulf

Was, Etzel? Hältst du keine Wahrheit aus? Deine Königin fickt mit jedem – stimmt das oder nicht?

Kriemhild

… leider – entschuldigt mich …

Tassilo

Packt sie! Haltet sie! Sie schützt uns gegen Etzel  u n d Burgund.

Kriemhild

Brünhild! Brünhild! – Lasst mich …

Thrasamund

Du bleibst!

Kriemhild

Ich kann nicht b l e i b e n. An diesem Ort brennt Feuer in der Erde. Der Boden riecht nach Glut. Bleib ich, muss ich brennen …

Tassilo

Etzel! Waffen!

Kriemhild

… meine Kleider Flammen, meine Haare Flammen, nie brannte ein Mensch; wie wenn ich Kriemhild bleibe an diesem Ort …

Athaulf

Waffen, Etzel, Waffen!

Kriemhild

… fort, fort, den Namen von mir werfen weg, weg, bitte, lasst mich gehen …!

Auftritt Ruga

Ruga

Herr! Nachricht von den Divisionen: Oberst Bleda steht bereit.

Etzel

Soll warten!

Cymen

Warten? Worauf?! Um Himmels Willen, was bedeutet das?!!

Tassilo

Gunther! Hier spricht Tassilo, König der Bajuwaren. Wir sind unbewaffnet. Wir wollen nicht kämpfen. Kommt in Frieden und niemand wird Burgund ein Leid zufügen.

Cymen

Gunther! Hier stehen die Völker der Germanen. Wir wollen dir Frieden bieten. Lass die Waffen ruhen und sei in unsrer Mitte uns willkommen!

Athaulf

Sie hören nicht! Sie wollen kämpfen!

Kriemhild

Willkommen! Willkommen! 

Etzel

Ellac, Ruga – schließt die Türen! Niemand verlässt die Halle!

Kriemhild

Niemand verlässt die Halle!!!

Athaulf

Verräter! Etzel ist ein Mörder! Flieht, Brüder! Rettet euch!

Kriemhild

Mörder! Mörder! Feuer! Feuer!

Die Burgunder haben den Zaun erreicht. Trommeln brechen ab. Stille.

Etzel

Es ist gut, Gunther, dass du gekommen bist. Es ist gut, Hagen von Tronje, gut, ihr Ritter von Burgund, dass ihr in meinem Lager  erschienen seid. Gut, dass ihr Waffen tragt. Wir werden nun beginnen, eine neue Ordnung für die Welt zu schaffen. Allein die Fürsten der Germanen bitte ich, mir zu verzeihen, weil es nun anders kommt, als ich versprochen. Weil ich den Frieden breche, um den wir uns gemeinsam mühen. Es geht nicht anders. Ein letztes Mal. Verzeiht mir!

Aus der Tiefe der Wiese, im Rücken der Burgunder, eine Kaskade von Schüssen. Die Burgunder werden in den Rücken getroffen und brechen zusammen. Nebel. Pulverdampf. Stille.

Kriemhild

… Hagen! Wie du aussiehst! So schwarz! Eine schwarze, schmutzige Kohle, in der Feuer glüht, das wärmt nicht, das brennt! Oh Hagen, Hagen, du brennst innerlich ganz lichterloh, ganz verkohlt bist du im Schmerz, im Schmerz … worüber? Hast du niemand zum Umarmen? Das ist schlimm. Du liebst nichts, was lebt, weil du dich entschieden hast, nur zu lieben, was schon tot ist. Du suchst den Tod, Hagen. Du wirst sterben. Gleich. Gleich. Aber du – Gunther! Du suchst keinen Tod. Du suchst … mich! Tatsächlich, mein Bruder suchte mich. Er war der liebste mir von allen, immer Gunther, der zu groß war für seine Schuh und seine Kleider und alle neckten ihn, erst, weil er zu groß war, und dann – als er glaubte, groß zu sein mit seinen schönen großen Kleidern – da sah man, dass Gunther zu klein war für die Burg von Worms. Er war nie ein Stahl Glas Beton Mann, Gunter war ein Wiesenmensch, der sich verirrt hat in Wünschen, die die Mutter für ihn hatte. Und er lächelt noch immer, Gunther, mein Lieblingsbruder, so fröhlich freundlich suchst du mich …

Cymen

Etzel! Was geschieht hier?

Etzel

Euch zu töten war der Preis für das Gold, den Burgund von mir verlangte. Jetzt fragt euch wieder: könnt ihr dem Etzel trauen? Schützt Etzel die Germanen?!

Cymen

Unter Schock steht die Versammlung. Niemand kann mehr denken. Wer wollte im Augenblick Entschlüsse fassen, die die Welt verändern, wo keiner weiß, was richtig ist, was falsch? 

Etzel

Entschlüsse, die die Welt verändern, fasst man  n u r unter Schock. Ich handle. Jetzt. Wer meinen Frieden nicht wählt, wählt meinen Krieg. Entscheidet euch.

Toncollage: BANDITOS –  bei Tacitus sich ins Grässliche steigernde Kriegsgeschrei der Germanen. Beginnt mit Flüstern, geht dann über in Zischen, und brandet dann los als Geschrei wie eine Brandung.

Hödur   Die folgenden Passagen werden wieder simultan übersetzt.

Der Rat zur Sicherheit der Völker  verabschiedet auf der Sitzung siebentausendvierundfünfzig vom Monat acht des Jahres Vierunddreißig Achtundneunzig die Entschließung elf:

Der Rat zur Sicherheit

UNTERSTREICHT  die Dringlichkeit und ERHEBT DIE FORDERUNG nach einer sofortigen, dauerhaften und umfassend eingehaltenen Waffenruhe, die zum vollständigen Abzug der hunnischen Truppen aus den Gebieten der Skiven, Katten und Cornuten führt.

FORDERT die ungehinderte Bereitstellung und Verteilung humanitärer Hilfe und Hilfsgüter, einschließlich Nahrungsmitteln, Brennstoff und medizinischer Behandlung durch internationale Hilfsorganisationen des Rates der Völker

Aus der rechten Seite treten drei schwarze Männer mit fünf silbernen Koffern auf. Alles sehr langsam. Texte Kriemhild Hödur gehen ineinander, übereinander.

Kriemhild

Nein. Nicht. Etzel beschwört die Schwarzen Männer. Die keiner kennt. Götter, die lange tot waren, und die zu neuem Leben kommen durch das Gold. Ihr dürft nichts nehmen von den Schwarzen Männern. Ihre Geschenke sind vergiftet. 

Hödur

BEGRÜSST  die Initiativen zur Errichtung bilateraler und multilateraler wirtschaftlicher Zusammenarbeit.

VERURTEILT jede Gewalt und alle Feindseligkeiten, die sich gegen Zivilpersonen richten, sowie alle terroristischen Handlungen.

Kriemhild

Keiner kennt sie! Warum sehe i c h   sie? Wer bin ich jetzt? –  Ich sehe Männer, die Etzel befohlen haben, meine Brüder aus Burgund zu töten! Sie flüstern dem Etzel seine Gedanken ein. Etzel’s Macht kommt von den Schwarzen Männern! Etzel ist eine Marionette, eine Puppe, Etzel ist kein Mensch …

Von links kommen fünf hunnische Soldaten, gehen auf die schwarzen Männer zu, nehmen ihnen die Koffer ab und gehen damit zu den germanischen Königen.

Hödur

FORDERT  die Mitgliedstaaten AUF, verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um Garantien für die Aufrechterhaltung einer dauerhaften Waffenruhe zu schaffen und insbesondere den unerlaubten Handel mit Waffen und Munition zu verhindern und die dauerhafte Wiedereröffnung der Übergänge der Grenzen auf der Grundlage des Abkommens dreizehn siebenundneunzig über die Bewegungsfreiheit der Zivilbevölkerungen.

Kriemhild

Da sitzt ihr, ihr Lenker der Völker mit euren Kronen auf dem Kopf und euren prächtigen Gewändern und seid so machtvoll ohnmächtig, dass ihr nur noch euch selber erkennen könnt in den Bildern und Zeitungen, die man euch reicht mit euerm Kaffee am Morgen! Seht doch! Seht! Etzel ist ein Diener der Schwarzen Männer! Ein Sklave der Dämonen ist Etzel!

Hödur

ERMUTIGT  zu greifbaren Fortschritten in Richtung auf eine innergermanische Aussöhnung, namentlich zur Unterstützung der Vermittlungsbemühungen Cheruskiens und der friesischen Liga gemäß der Entschließung drei drei acht des Rates.

Kriemhild

Das sind die Männer, die von den Bilderbergen kommen. Das sind die Männer, die man nicht erkennen kann durch das gedunkelte Glas ihrer Fensterscheiben. Die Schwarzen Männer leben nicht unter den Menschen, sie leben nur auf Inseln, Inseln aus Zäunen, Inseln im Meer, wo es keine Gesetze für Menschen gibt und wo man alle Spuren verwischen kann im Sand. Spuren aus Worten, Spuren aus Zahlen. Diese Männer kleiden sich in Namen und Sprachen, die keiner mehr verstehen kann. Dämonen sind es, Kinder des Loki, wie einst der Fenriswolf, die Schlange Jormungandur, die vor Urzeiten Asgard vernichteten. Die machen, dass es im Sommer vom Himmel blitzt und Staub regnet und alles in den Grund fällt und der Schrecken in die Welt kommt! Nehmt nicht das Geld der Schwarzen Männer. Es wird die Welt zerstören. 

Lauft, ihr Könige! Lauft! Ihr müsst eure Völker warnen! Schnell, nehmt eure Waffen! Ihr müsst kämpfen! Kämpfen! Ihr müsst wütend sein!!!

Die germanischen Könige nehmen die Koffer.

Hödur

FORDERT ERNEUT dringende Anstrengungen seitens der Parteien zur Herbeiführung eines umfassenden Friedens auf der Grundlage der Vision souveräner Staaten innerhalb anerkannter Grenzen, wie in der Entschließung zwei vier zwei des Rates vorgesehen und erinnert außerdem an die Wichtigkeit der suebischen Friedensinitiative.

Die schwarzen Männer ziehen sich zurück.

Kriemhild

Keiner hört mich. Ich klinge nur noch in mir selbst… Bin ich irre?

Hödur

BESCHLIESST, das Mandat der Beobachtertruppe für die Truppenentflechtung um einen Zeitraum von sechs Monaten zu verlängern.

BESCHLIESST, mit der Angelegenheit befasst zu bleiben.

Kriemhild  geflüstert

Etzel! Du bist ein Mörder! Baust dir ein Imperium mit einer Lüge aus Gold! Es ist das schlechteste Spiel, Etzel, das je gespielt wurde. Weil man die Völker glauben machen kann, dass es ehrlich ist. Weil alle denken, es wäre gerecht, dass sie arm sind und keine Arbeit sie reich macht und sie arm bleiben und nicht fragen, wie es anders sein könnte, weil man ihnen sagt, es sei gerecht so. Weil man den Betrug nicht sehen kann. Weil die Gewalt nicht mehr gewalttätig ist und es keine Statistik eurer Toten gibt. Und wer sich deiner Gerechtigkeit widersetzt, Etzel, den tötest du. Und erfindest dir ein Gesetz für den Mord.  Abschaum ist deine Macht. Wer immer sich deiner Macht nähert, wird Abschaum werden. Und ihr Fürsten träumt hilflos von Etzels geschenktem Reichtum. In euren Träumen seid ihr Riesen, Zwerge bleibt ihr in euren Taten. Euer Glück sucht ihr im Ausgedachten, in Räumen des Scheinbaren, das ihr ‚das Schöne’ nennt. Ihr wollt das Gajaleben plündern, und am Ende müsst ihr es verachten, weil ihr es nicht begreifen könnt. 

Etzel. Du bist außerhalb des menschlichen Geistes. Deine Seele ist tot. Du bist krank …!.

Auftritt Ellac und Ruga.
Die Völker stehen am Platz mit dem Koffer in der Hand.

Die folgenden Texte werden in mehrere Sprachen übersetzt.

Ellac 

Die supranationale Gemeinschaft der germanischen Völker verurteilt den feigen Anschlag auf das Leben der burgundischen Könige auf das schärfste. Fassungslos stehen wir vor einem Mord, wie er hinterhältiger nicht auszudenken ist. Dieser Anschlag ist in der Burg des Königs der Hunnen von einem Teil seines Heeres verübt. Die Versammlung der Völker fordert sofortige und rückhaltlose Aufklärung. 

Etzel

Ich, König Etzel, versichere die Völkergemeinschaft meiner tiefsten Betroffenheit. Mein Mitgefühl ist vor allem bei den Familien der Opfer. Ich vereine mich in meiner Trauer und in meiner Empörung meinen Partnern, den Königen der Goten, Sachsen, Herulern, Bajuwaren und Vandalen. Und ich schwöre, die Schuldigen –  und sollte ich sie in den eigenen Reihen finden –  mit der ganzen Härte des Gesetzes zu bestrafen.

Ellac

Um die Ermittlungen nicht zu behindern, gibt die Untersuchungskommission vorerst keine Auskünfte. Nur soviel ist bekannt:

Ruga 

Oberst Bleda gab um 18:42 Uhr der 5. und 6. Kompanie der 3. Division Befehl zum Angriff. Oberst Bleda befindet sich in Untersuchungshaft und wird morgen früh vor einem Militärgericht aussagen. In seiner Manteltasche befand sich ein Brief der Königin Kriemhild mit Datum von Vorgestern. Darin ist die Rede von einem Treffen und einem Versprechen, das die Königin in der Nacht zu heute einlösen wolle. Von einer Kammerfrau wurde bestätigt, dass es sich hierbei zweifelsfrei um die Handschrift der Königin Kriemhild handelt. Die gynäkologische Untersuchung, der die Königin Kriemhild sich auf Grund der Schwere des Vorwurfs und einem Sonderbefehl König Etzels unterziehen musste, ergab zeitnahen, wechselnden Geschlechtsverkehr.  Des Weiteren fand man im Quartier des Oberst Bleda große Teile des Schmucks der Königin. 

General Dengizich, ein weiteres hohes Führungsmitglied des hunnischen Heeres gehörte zum inneren Kreis der Verschwörung: die junge Frau Helke, Verlobte des Obersts, hat ausgesagt, dass sie von Königin Kriemhild unter Androhung von Gewalt erpresst worden sei, dem Oberst ihr Heiratsversprechen zu geben.  Frau Helke wird morgen vor dem Militärgericht aussagen. Der Oberst hat sich vor wenigen Minuten erschossen

König Etzel warnt davor, voreilige Schlüsse zu ziehen. Niemand soll verurteilt werden, solange seine Schuld nicht bewiesen ist. Doch legen die vorliegenden Indizien die Schlussfolgerung nahe, dass es sich bei dem Massaker an den Burgundern um einen persönlich motivierten Akt der Rache handelt. Kriemhilds Rache. Wiederholt äußerten Personen, die zum engsten Kreis der Königin zu rechnen sind, dass Kriemhild Hagen von Tronje und ihren Brüdern, den Königen von Burgund, die Schuld am Tod ihres Mannes Siegfried, der vor 7 Jahren bei einem Jagdunfall in Worms ums Leben kam, unterstellte. Kriemhild habe Siegfried über alle Maßen geliebt – wird weiter berichtet. Aus Rache also – so wird vermutet – hat Königin Kriemhild sich Oberst Bleda gefügig gemacht. Aus Rache hat sie Frau Helke unter Druck gesetzt, sich Oberst Dengizich zu verbinden. Um Kriemhilds Rache haben ihre Brüder, die Könige von Burgund im Heerlager des König Etzel einen tragischen Tod gefunden. 

Zum Gedenken an die Opfer ordnet König Etzel für den morgigen Tag Staatstrauer an.

Alle verlassen die Bühne. Kriemhild allein. An der Seite Ortlieb.

5. Szene

Kriemhild / Ute / Brünhild

Stimme der Brünhild   Hass, Hass. Jetzt bist du nicht mehr Kriemhild. Jetzt hat man dir deine Seele gestohlen. Du hast den letzten Rest deiner Würde verloren. Jetzt bist du ich. Jetzt noch eine Hasstat und dann stürze dich vom Felsen, verbrenne dich im Feuer, ertränke dich im Meer. Stimme der Ute  Jetzt hast du die Liebe in die Welt verloren, jetzt liebst du nichts mehr, nicht einmal mehr dich, jetzt bindet dich nichts mehr und deine Wut ist so ohnmächtig, dass du töten kannst. Töte sinnlos, mein Kind, töte, was du liebtest, töte dich. Jetzt ist es soweit. Stimme der Kriemhild  Ich will Schmerz bereiten. Schmerz mir, Schmerz ihm, einen Schmerz, den alle hören, alle fühlen müssen… was kann das sein?   Stimme der Brünhild, Kriemhild, Ute im Chor    Kriemhilds Liebstes, Kriemhilds Kleinstes, meinem Kriemhildkindsleib will ich den Kopf abschlagen. Und das vertrauensvolle Kinderlachen, das Gesicht dieses Winzlings, mein Gesicht, in dem die Liebe zu seiner Mama geschrieben steht, wem sollte es sonst Vertrauen, das Winzige, woran sollte es sich sonst festhalten in der Welt, der lachende Blick der kleinen lieben Augen, die den Papa anstrahlen, die Mama anstrahlen, dieser Blick muss erhalten bleiben. Dieser Blick trifft das Leben ins Mark. Dieser Blick kann die Welt noch erschrecken. Dieser Blick muss Etzel treffen und von seinem Wahnsinn befreien. Etzel soll seinen Schrecken trinken aus dem Kopf seines Kindes. Du hast gewählt, Etzel. Ich will sehen, ob du schreist.

Während des obigen Textes hat Kriemhild Ortlieb den Kopf abgeschlagen und gespalten. Seine Gehirnschale füllt sie mit Wein und legt sie dem Etzel auf den Thron.