Textauszug Prinz Heinrich inszeniert eine Oper

(3. Bild)

Heinrich

Es ist für mich erstaunlich, dass sich die Sicht Ihres Jahrhunderts auf Preußen auf seine militärischen Erfolge und sein  Beamtentum weitgehend beschränkt.  Nun gut – Preußen, das ist der Staat, das ist ein Prinzip, und dazu ein ehrliches. Man stellt sich einen Hohenzoller nicht anders vor als nüchtern, gerecht, diszipliniert, seiner Aufgabe als Soldat oder Beamter stets gewachsen – aber in jedem Falle t r o c k e n. Wissen Sie, was dieser Rheinsberger Park an Liebesschmerz, an Sehnsucht und Erfüllung gesehen hat?! Erst ein moderner Dichter musste zwei beliebige – Berliner!! – Personen erfinden, um der Liebesmacht des Rheinsberger Parkes Ausdruck zu geben. Dass diese eiserne Energie der besten Hohenzollern, diese politische und intellektuelle Dimension der besten Köpfe unserer Familie erzwungen war um den Preis des Verlustes der Leidenschaft, dass die Liebe zu einem Menschen sich ducken musste unter die Pflicht an einem Volk – das ist in Ihren Geschichtsbüchern bestenfalls als Fußnote zu lesen oder verkommt zur psychologischen Studie. Aber was für einen Zusammenhang gibt es hier! Mein Bruder war bereits ein Krüppel, als er 1740 im Alter von 28 Jahren den preußischen Thron bestieg. Er musste ein g r o ß e r Mensch werden, weil er Mensch nicht mehr sein durfte.

Unser Vater! – kennen Sie ihn? Natürlich. Dieser zeitlebens cholerische Dickkopf mit der großen Vorliebe für lange Kerls und lebende Zinnsoldaten. Nein bitte, sagen Sie ehrlich: kann die Idee, eine Armee zu choreographieren bis sie sich bewegt wie ein tanzender Tausendfüßler im Karneval, – dazu noch eine Kuriositätensammlung „langer Kerls“, zusammengekauft und -gestohlen in der ganzen Welt – auf etwas anderem gründen als auf einem Spieltrieb? Europa muss damals ganz ähnlich gedacht haben, hat doch diesen norddeutschen Polterkopf kein Staat wirklich ernst genommen. Ist jenes tägliche Soldatenballett wirklich eine strategische Überlegung gewesen oder nicht vielmehr die Schrulle eines überspannten Kindes? Was nicht in Frage stellt, dass es eine Revolution in der Militärgeschichte war, aber entstehen große Erfindungen nicht immer aus Spielerei? Mein Vater, dieser „kriegerische“ Mann, hat noch dazu peinlichst vermieden, mit seinem Zinnsoldatenarmeelieblingsspielzeug tatsächlich in einen wirklichen Krieg zu ziehen. Das tat erst mein Bruder, dem man sein Lieblingsspielzeug – einen jungen Leutnant – gründlich ausgetrieben hatte. Nein, unser Vater war ein von Perfektion und cholerischer Pedanterie besessenes Kindergemüt mit einer wahrhaft phantastischen Gefühlswelt, in der leider so profane Dinge wie die eigenen Kinder oder die eigene Frau nur èn Detail vorkamen. Ich glaube übrigens sicher, dass den monatlichen Regelkalender meiner Mutter mein Vater geführt hat. Er wollte sicher gehen, wann seine männliche Leibesanstrengung königliches Zeugnis von ihm ablegte. Mit dem Pflichtbewusstsein eines Nashorns hat er ihr jedes Jahr ein Kind in den Leib gestopft.

Sie werden den Eindruck haben, dass mein Bruder der Große und ich unserem Vater im höchsten Maße unähnlich sind. Das ist falsch. Der Vater ist die Sucht des Sohnes. Möge er ihn hassen oder lieben. Wir haben unseren Vater geliebt – und mit ihm sein Werk: den Staat. Seine Besessenheit, seine Arbeit, seine Kraft – das ist unser Anspruch ans Glück. Mein Vater war der Wolf, der das Rudel führt. Friedrich ist ein Wolf, der das Rudel führt. Ich allerdings durfte kein Führer von Wölfen werden. Man hat mich auf einer Insel ausgesetzt – mit einer Herde von Schafen! Ich konnte nun wählen, mit ihnen zu spielen oder sie zu fressen.

Mein Vater hat uns nie wirklich wahrgenommen. Er hat an uns nie mehr als seine Pflicht getan. Die Verpflichtung, seine Kinder zu lieben, empfing er von Gott, nicht aus seinem Herzen. So hat er sich wohl auch nie ein Gewissen daraus gemacht, dass er unsere Schwester Wilhelmine mit der Faust ins Gesicht schlug. 

Menschen, die ständig arbeiten, ständig im Dienst sind, verfügen über eine sehr überraschende Art von Gewissen: sie habe keines. Sie haben kein Gewissen nötig. Sie befinden sich in einer ganz erstaunlichen Übereinkunft mit Gott: sie lösen eine  w i c h t i g e  A u f g a b e. Dabei ist es unwesentlich, was eine wichtige Aufgabe ist. Eine wichtige Aufgabe kann die Führung eines Staates sein, es kann das Schreiben einer Tragödie sein, es kann auch eine Laubsägearbeit sein. Wichtig an der Aufgabe ist allein die Ü b e r –

z e u g u n g , die man davon hat. Grundlage jeder echten Überzeugung ist die Gewissheit,  dass das, was man tut, man nicht für sich selbst tut. Dabei ist auch egal, für wen man es tut: ob für ein Volk, ob für eine Familie, ob für die Menschheit, ob für die Kunst oder einfach, um Geld zu verdienen. Diese Menschen brauchen kein Gewissen, sie  s i n d  das Gewissen. Gut ist, was wichtig ist, und wichtig ist, was sie tun. Diese glücklichen Menschen ahnen nicht einmal, dass sie alles, was sie tun, ausschließlich für sich selbst tun. Unser Vater war so ein glücklicher Mensch. Ich glaube fest daran, dass er es für das einzig Richtige hielt, den Liebling meines Bruders, Leutnant Katte, vor Friedrichs Augen zu köpfen. Wir haben unseren Vater geliebt. Wir lieben ihn noch. Seine Anerkennung ist unsere Selbstachtung. Und wer weiß – vielleicht war es richtig, unsere Schwester mit der Faust ins Gesicht zu schlagen und Katte zu töten.

Es kommt die Zeit – oft erst im Alter – da sitzt man und grübelt über sein Elternhaus: Ist die Geschichte meiner Familie wirklich „tragisch“ zu nennen? Tragisch, wie die der Atriden? Gibt es wirklich eine annährend ähnliche Dimension im Leid der Iphigenie, des Orests, Friedrichs des Großen und des Prinzen Heinrich? Wenn ich die „Iphigenie“ höre, kommt mir die Geschichte der Hohenzollern wie billiger Familienklatsch vor. 

Schultze! Erster Aufzug, erster Auftritt. Iphigenie und Chor!

Die Darsteller auf der Bühne „erwachen“ zum Leben

Rezitativ Iphigenie und Erste Priesterin

„Die Ruhe kehrt zurück“

Iphigenie erzählt in einem dramatischen Rezitativ über einen Traum, in dem ihr Vater und Mutter erschienen sind.

anschl.

Chor

„Grausame Nacht“

Erster Akt, Erster Auftritt

Heinrich  den folgenden Text spricht der Prinz über die Musik mit Beginn des Chores

Friedrich und ich sind uns ähnlicher, als wir beide glauben. Nie haben wir darüber gesprochen. Sein Besuch jetzt ist nicht Ausdruck seiner Höflichkeit. Er ist ein Zeichen, ein Symbol seines Verstehens für unser beider Schicksal, es ist der Ausdruck seiner Liebe zu mir.  Jener Rest Liebe, zu der ein Mensch noch fähig ist, wenn er zerbrochen wurde, um ein großer König zu sein. Ich bin ihm für einen Moment seines Lebens wichtiger als das dringendste Staatsgeschäft. Ich verlange kein Amt, so sehnlich ich es vielleicht wünsche. Ich verlange nicht die Beteiligung an der Macht. Und Friedrich hat wohl recht, wenn er mich dieser stetigen unerfreulichen Belastung nicht gewachsen sieht; er war es, der mir Rheinsberg geschenkt hat, der mir in Berlin ein großartiges Palais bauen ließ, heute Berlins herrlichste Universität! Was mir zur Ehre gereicht, auch wenn niemand mehr erinnert, dass dieses Gebäude einst das „Prinz Heinrich Palais“ war. Friedrich beschenkt mich großzügig mit Geld, er gestattet mir, seinem kleinen Bruder, ein Leben in Freude, Liebe und Kunst, das ihm zu führen verwehrt ist. 

Friedrich kommt nach Rheinsberg. Mein Bruder liebt mich!

Mit dem Ende des Textes endet auch die Musik. 

Lehndorff

Mein liebster Prinz, Seine Majestät Ihr Bruder bedauert, auf Grund dringender Staatsgeschäfte seinen Besuch leider absagen zu müssen.

Dunkel